„Mein Kind soll leben!"

Ein neues Projekt an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) erforscht die Erfahrungen und Bedürfnisse von Eltern von einem Kind mit Trisomie 18 und 13 während und nach der Schwangerschaft. Auf der Transferale 2024 wurden bereits die Ideen präsentiert – nun hat das Forschungsprojekt „offiziell“ seine Arbeit aufgenommen.
„Hoffnungslos“, „lebensunfähig“, „höchstens ein paar Tage auf der Welt“ – mit solchen niederschmetternden Aussagen sah sich Elettra Griesi konfrontiert, als sie im Jahr 2020 im Rahmen der Pränataldiagnostik in der 12. Woche von der Diagnose Trisomie 18 ihres Sohnes erfuhr. Dabei handelt es sich – wie auch bei der besser bekannten Trisomie 21 (Down Syndrom) – um Chromosomenaberrationen, die verschiedene, oftmals sehr schwere Behinderungen mit sich bringen und generell mit einer geringen Lebenserwartung einhergehen. Mediziner*innen legten ihr die Abtreibung nahe, übten großen Druck auf sie aus und reagierten alles andere als einfühlsam. Traumatisierende Erfahrungen in einer ohnehin schon verzweifelten Situation für die werdenden Eltern – und kein Einzelfall, wie Elettra Griesi in den Sozialen Medien feststellte.
Hier liegt der Grundstein für das Forschungsprojekt „emPOWERment - Stärkung von Menschen mit Trisomie 18 & 13 und ihren Familien“, das Elettra Griesi seit 2025 an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) koordiniert. „Ein Forschungsprojekt stellte für mich eine seriöse Möglichkeit dar, über dieses wenig bekannte Thema zu informieren und im besten Fall sogar etwas an der Situation zu verändern“, so Elettra Griesi. Auf der Suche nach einer Organisation, die sie bei der Umsetzung des Vorhabens unterstützt, lernte sie schließlich Prof. Dr. Vera Munde kennen, die an der KHSB eine Professur für Theorien und Methoden der Heilpädagogik und der Inklusiven Pädagogik innehat und schwerpunktmäßig zu Menschen mit komplexen Behinderungen forscht.
Studienlage in Deutschland als Problem für die Familienbegleitung
Vera Munde ist von der Wichtigkeit des Themas überzeugt – nicht nur, weil die so wesentlichen Perspektiven betroffener Eltern von der Forschung bisher kaum in den Blick genommen wurden. Erste Recherchen zeigen daneben auf, dass bisher „keine differenzierten Zahlen in Bezug auf die beiden Trisomien zu Prävalenzen in der Schwangerschaft, zu lebendgeborenen Prävalenzen sowie zur Lebensdauer dieser Patient*innen in Deutschland existieren“, so Prof. Dr. Vera Munde. „Bei der Aufklärung und Begleitung von Familien informieren Medizinerinnen und Mediziner in Deutschland in der Regel also auf der Basis von Statistiken, die nicht aus Deutschland stammen.“
Ein Problem – hängt doch beispielsweise die Lebenserwartung von Kindern mit Trisomie 18 oder 13 maßgeblich von den lokalen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen ab. So sind Studien, entstanden im Kontext anderer ethischer, kultureller und religiöser Hintergründe einer Gesellschaft, anderer verfügbarer Technologien oder anderer finanzieller Unterstützung bei Behandlungen seitens des Gesundheitssystems, nur begrenzt auf die deutsche Situation übertragbar. Dies erschwert Eltern eine Entscheidung über den weiteren Verlauf nach Erhalt der Diagnose zusätzlich.
Partizipative Forschung als Antwort
Prof. Dr. Vera Munde, Elettra Griesi und Julia Scherpf als Wissenschaftliche Mitarbeiterin unternehmen daher mit ihrem Projekt einen ersten Schritt, diese Lücke mit Erkenntnissen zur Kooperation von betroffenen Eltern mit dem medizinischen Fachpersonal zu füllen. Gefördert durch die Software AG Stiftung arbeiten die drei 2025 nun zunächst daran, Erfahrungen von betroffenen Familien zu sammeln, zu systematisieren und für unterschiedliche Zielgruppen zu veröffentlichen. Ihr Ansatz ist dabei ein partizipativer: „Gemeinsam mit einer Gruppe von zehn betroffenen Angehörigen entwickeln wir zunächst einen Fragebogen für eine quantitative Befragung von mindestens 150 Eltern“, erläutert Julia Scherpf das Vorgehen. „Im zweiten Schritt soll dann eine qualitative Befragung folgen – vorausgesetzt unser Projekt erhält eine Anschlussförderung ab 2026.“ Zusätzlich wird das Projekt auch in die Lehre an der KHSB eingebunden, beispielsweise über Projektseminare und Abschlussarbeiten interessierter Studierender.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. In Folgestudien könnten die Ergebnisse um die fehlenden Statistiken für Deutschland, um interdisziplinäre Perspektiven von Mediziner*innen und anderen Fachkräften sowie um Erfahrungen aus anderen Ländern in einer internationalen Vergleichsstudie erweitert werden – so die langfristige Vision.
Die direkte Einbindung betroffener Elternteile ist dabei Chance und Herausforderung zugleich – machen doch die schwierigen Alltagsbedingungen von Familien mit teils schwer behinderten Kindern die Terminkoordination selbst für digitale Treffen ca. alle sechs Wochen zu echten Herausforderungen. Und noch eine andere Problematik beschäftigt Elettra Griesi: „Wir sind eben kein medizinisches Forschungsprojekt. Es bleibt eine gewisse Angst, dass wir mit unseren Ergebnissen gerade von denen nicht ernst genommen werden, die wir erreichen wollen: Von den Ärzten und Ärztinnen, vom medizinischen System im Generellen.“ Aus diesem Grund sollen bereits bei Erstellung der Fragebögen ausgewählte Mediziner*innen hinzugezogen werden, die im persönlichen Umgang mit den betroffenen Familien einen positiven Eindruck hinterlassen haben und sich offen für den Dialog gezeigt haben.
Persönliche Wünsche an das Projekt
Von solchen Ärztinnen und Ärzten bräuchte es deutlich mehr, wünscht sich Elettra Griesi: „Wir brauchen Medizinerinnen und Mediziner, die mit den Familien zusammenarbeiten, die ihnen helfen, informierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.“ Sie ist überzeugt: Forschung ist der Schlüssel dazu: „Es ist wichtig, dass die Wissenschaft mehr über die Trisomien 18 und 13 spricht, dass auch das medizinische Fachpersonal lernt, die Bedarfe von Eltern besser zu verstehen, um sie auf dieser Grundlage wertschätzend zu begleiten und ergebnisoffen zu beraten. Dann sind wir auf dem richtigen Weg hin zu einer besseren Unterstützung von werdenden Eltern im Umgang mit den Diagnosen Trisomie 18 und Trisomie 13.“
Kontakt
Prof. Dr. Vera Munde
Projektleitung
E-Mail: Vera.Munde@KHSB-Berlin.de
Elettra Griesi
Projektkoordination
E-Mail: Elettra.Griesi@KHSB-Berlin.de
Julia Scherpf
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
E-Mail: Julia.Scherpf@KHSB-Berlin.de